Das Einhorn: 3 Tiere, die den Mythos inspiriert haben
Geschrieben und geprüft von der Biologin Elsa M. de Arribas
Das Einhorn ist eines der bekanntesten mythologischen Wesen der Märchen und aller Zeiten. Es wird oft als pferde- oder ziegenähnliches Tier mit einem einzelnen Horn auf der Stirn beschrieben.
Der Mythos dieses magischen Pferdes gewann an Fahrt, als seine knochigen, spitzen Fortsätze auf den europäischen Märkten auftauchten. Jahrhundertelang wurden seinem Horn heilende Kräfte und die Fähigkeit, Wasser zu reinigen, zugeschrieben.
Es mangelte jedoch nicht an skeptischen Zeitgenossen – wie beispielsweise dem dänischen Arzt Olaus Wormius. Er zweifelte diese angeblichen medizinischen Eigenschaften an und widmete sich der Suche nach dem wahren Ursprung des Horns.
Im Einklang mit dieser Fragestellung können wir uns fragen: Zu welcher Art gehörten die in Europa vermarkteten Hörner? Welche echten Tiere inspirierten den Glauben an das Einhorn, diese fantastische Kreatur? Wenn du die Antworten auf diese Fragen erhalten möchtest und eine Reise durch die Geschichte unternehmen willst, dann lies weiter.
Der Mythos des Einhorns
Im 4. Jahrhundert v. Chr. war der griechische Arzt und Historiker Ktesias ein Pionier bei der direkten Erwähnung des Einhorns. In seinem Manuskript Indica, das er auf der Grundlage von Informationen von Reisenden verfasste, schreibt er, dass das Einhorn aus Indien kam.
In dieser ersten Beschreibung heißt es, dass das Einhorn ein großer “Wildesel” sei, der einem Pferd ähnelte. Sein Körper sei weiß, mit Ausnahme des Kopfes, der rot sei. Außerdem habe das Tier dunkelblaue Augen. Das auffälligste Merkmal war zweifelsohne sein spitzes, an der Basis weißes Horn, das sich in der Mitte der Stirn befände.
Auf Ktesias, der die Eigenschaften des Horns dieser Kreatur beschrieb, folgten Aristoteles, Plinius der Ältere sowie Claudius Aelianus und andere Gelehrte, die ebenfalls in ihren Texten Anspielungen auf dieses fantastische Pferd machten.
Das Einhorn im mittelalterlichen Bestiarium
Das mittelalterliche Bestiarium bestand aus einer Zusammenstellung aller Arten von Tieren, sowohl fantastische als auch reale. Es enthielt sowohl physische Beschreibungen als auch Legenden oder Geschichten unterschiedlicher Herkunft – hebräisch, asiatisch, indisch, ägyptisch, römisch oder griechisch – und wurde von Illustrationen der einzelnen Arten begleitet.
Die bekannteste Sammlung des Mittelalters war der Physiologus, der von einem unbekannten Autor in griechischer Sprache verfasst wurde. In diesem Buch über die Natur wurde das Einhorn als Pferd oder Ziege mit einem Horn beschrieben. Ihm wurden Kraft und Schnelligkeit sowie Reinheit und Keuschheit zugeschrieben. Der Legende nach konnte ein Einhorn nur von einer Jungfrau gefangen werden, der es sich unterwarf.
Das Einhorn war eine geschätzte “Beute” für die damalige Heilzunft, da sein Horn in Gebräuen und Tränken verwendet wurde. Man glaubte, es habe regenerative Kräfte und sei ein Aphrodisiakum.
Aus diesem Grund wurde häufig das Horn des Narwals oder des indischen Nashorns verkauft und als das eines Einhorns ausgegeben. Dieser Ansatz wird heute noch in einigen Regionen Asiens verfolgt.
Tiere, die den Mythos vom Einhorn inspiriert haben
Obwohl verschiedene Ursprünge des Einhorns vermutet werden, legt die Darstellung dieser Kreatur nahe, dass es sich bei der Entstehung des Mythos um eine fantastische Sichtweise des indischen Nashorns handeln könnte. Es gibt jedoch noch mehr Arten vom Land und aus dem Meer, die dieses geheimnisvolle Pferd hervorgebracht haben könnten, welches nach wie vor eine solche Faszination auf den Menschen ausübt.
1. Elasmotherium
Die Gattung Elasmotherium wird im Volksmund auch “Riesiges Sibirisches Einhorn” oder “Riesennashorn” genannt. Elasmotherium, oder Elasmotherium sibiricum, ist die am besten erhaltene Art dieses prähistorischen Nashorns, das im heutigen Russland lebte.
Es handelte sich dabei um ein Nashorn von der Größe eines Elefanten, mit Haaren bedeckt und mit einem großen, einzelnen Horn auf dem Kopf.
Obwohl dieses Tier vor schätzungsweise 200.000 Jahren verschwunden ist, wird angenommen, dass es bis vor etwa 39.000 Jahren in Mitteleuropa und Zentralasien gelebt hat. Das geht aus einem Artikel in der Zeitschrift Nature Ecology & Evolution hervor, der im Jahr 2018 veröffentlicht wurde.
2. Der Narwal
Der Narwal ist ein echtes Wassersäugetier, das wie ein mythologisches Wesen aussieht. Die eisigen Gewässer des Nordpols sind sein Lebensraum. Wegen seines Horns auf der Stirn wird er auch “das Einhorn der Meere” genannt.
Dieser wenig bekannte Wal ist ein Verwandter der Belugawale und gehört zur Familie der Wale. Sein Horn ist eigentlich ein Stoßzahn, der bis zu zwei Meter lang und mehr als 10 kg schwer werden kann.
In der Antike war die Funktion dieses Stoßzahns nicht bekannt. Neuere Forschungen haben jedoch herausgefunden, dass er bei der Jagd eingesetzt wird. Der Narwal vollführt damit schnelle Bewegungen, um Fische abzulenken, damit sie gefressen werden können.
Zudem hat man festgestellt, dass der Stoßzahn nur bei männlichen Tieren vorhanden ist. Ein weiteres Kuriosum des Narwals ist, dass er sich ziemlich laut verhalten kann. Die Tiere stoßen nämlich verschiedene “Geräusche” aus, um sich zu verständigen oder diese als Echolot zu benutzen.
3. Indisches Nashorn
Das Panzernashorn (Rhinoceros unicornis) ist eine von drei Arten, die es heute in Asien gibt. Es hat nur ein Horn, genau wie das Javanische Nashorn – im Gegensatz zum Sumatra-Nashorn und seinen afrikanischen Verwandten, die zwei Hörner haben.
Im Mittelalter hatte man keine genaue Vorstellung von den Eigenschaften eines Nashorns, nachdem es nach den Gladiatoren-Spielen der Römer im Kolosseum in Vergessenheit geraten war. Vielleicht verwechselte der bekannte Entdecker Marco Polo auf seiner Reise durch Asien deshalb das Nashorn mit einem Einhorn.
Heute ist das indische Nashorn die größte der fünf existierenden Arten und befindet sich nach der Klassifizierung der International Union for Conservation of Nature (IUCN) in einem “gefährdeten” Zustand. Der Glaube an die heilende Wirkung seines Horns macht es auch heute noch zu einer begehrten Beute von Wilderen.
Der Mythos des fantastischen Tieres
Das Einhorn ist also eines der mythologischen Tiere schlechthin. Obwohl seine heutige Darstellung weit vom Original entfernt ist, ist die Bewunderung für diese Kreatur immer noch lebendig. Seit der ersten Erwähnung des Einhorns bei Ktesias beeinflusste der Glaube an eine fantastische Kreatur die Historiker und Gelehrten, die über dieses magische Pferd schrieben.
Von da an wurden dem Einhorn Eigenschaften und Qualitäten verliehen, die in der Kunst des Mittelalters und der Renaissance häufig abgebildet wurden. Eine der herausragendsten war die religiöse Symbolik, die mit der Tugend der Reinheit in Verbindung gebracht wurde.
Das Interesse an dieser Tierart entstand durch die wachen Augen der europäischen Reisenden, die Arten wie das indische Nashorn in kreativer Weise beschrieben. Diese Faszination für das Einhorn kann in den Schutz der Tiere sinnvoll kanalisiert werden, die den Mythos einst inspirierten.
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